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Wolfgang Beutke

liest:

 

 

 

MEERESNACHT

 

 

tell me, who are you,

full of ships and moons,

crushed by the wind …

                                                                           Pablo Neruda *

 

Seit Tagen wehte ein steifer Nordwest zwischen den Färöern und den Lofoten. Die See war aufgewühlt, und der Luftdruck sank ins Bodenlose. Am späten Nachmittag wurde das Manöver abgebrochen und die Schiffe in die schützenden norwegischen Häfen entlassen.

Mehrere hundert Meilen von der Küste entfernt navigierte er die Fregatte bei achterlicher See in die hereinbrechende Nacht nach Osten. Der Sturm hatte weiter zugenommen und erreichte in Spitzen orkanartige Geschwindigkeiten. Die Luft war voll von Schaum und Gischt.

Das Schiff ächzte in den Verbänden, und die Dünung schob den stählernen Rumpf wie einen Spielball vor sich her. Dabei rollte und schlingerte das Schiff durch die See und erreichte Schräglagen, die sich dem Kenterpunkt näherten.

 

Novembersturm …

das Meer öffnet seinen Schlund bis

zu den Muschelbänken

 

 

 

Alles war seefest gezurrt, und so hockten und kauerten die Männer im Längsgang des Zwischendecks, am Boden ihrer Messen oder Wohndecks. Einige Unentwegte, die nicht seekrank wurden, kämpften sich auf die schwankende Brücke und hatten eine riesige Freude daran, das Krängen des Schiffes johlend zu begleiten. 

In diesem Moment hatte er das Gefühl, dass er der einzige war, der um die Gefahr für Schiff und Besatzung wusste. Krampfhaft hielt er sich an seinem Kommandantenstuhl fest, ständig den Krängungs- und Ruderlagenanzeiger im Auge. Die kochende See schimmerte in einem weißen diffusen Licht.

Zähflüssig vergingen die Stunden. Ab und zu zündete er  eine Zigarette an und blies den Rauch in die mondlose  Nacht. Wild tanzte die Glut mit den Bewegungen des Schiffes auf und nieder, kreuz und quer, bis sie schließlich in der Dunkelheit verlosch …

 

black moon -

creeping deeper into the

hands of God

 

 

* Aus dem Gedicht „Meeresnacht“: Pablo Neruda  Dichtungen  1919-1965: Band 1, Seite 409: Herausgegeben und übertragen von Erich Arendt, 1967 Luchterhand Verlag Neuwied und Berlin. Vom Autor ins Englische übertragen.

 

 

© Wolfgang Beutke