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PROJEKT SPERLING Nr. 48 - 03. Januar 2008: ÜBER DAS SCHAUEN
Lider sind
die einzige Bewegung -
unberührter Schnee
Hubertus Thum
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Was werden will, aber noch nicht ist. Die ungegenständliche Welt: eines Morgens sieht man sie plötzlich im Schnee.
Hubertus Thum
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Anmerkungen
Goethe sprach von der Forderung des Auges: In jedem Menschen existiert der mehr oder weniger ausgeprägte Drang, eine unvollständige Erscheinung zum Ganzen zu vervollständigen. Diese in der Psychologie wohlbekannte Tendenz, ein inneres und äußeres Gleichgewicht herzustellen, ist nicht auf Zeichnung und Malerei begrenzt, sondern lässt sich ebenso deutlich beim Umgang mit sprachlichen Bildern beobachten. Das literarische Genre Haiku kann demnach als Skizze aus Vokalen und Konsonanten aufgefasst werden, die der Leser oder Hörer mit den Möglichkeiten seiner Vorstellungskraft ergänzt und vollendet. Wir sprachen bereits darüber. Bei der Wahrnehmung und Rezeption eines Gemäldes oder Gedichts, im Geben und Nehmen der Aussagen und Inhalte, greifen also höchst komplexe kybernetische und informatorische Vorgänge ineinander. Für die Beziehung zwischen Geben und Nehmen ist es daher von entscheidender Bedeutung, dass der „Sender“ in seinem Repertoire möglichst viele Zeichen enthält, die im Repertoire des „Empfängers“, des Adressaten, gleichfalls vorkommen, sie ergänzen oder an Aussagekraft sogar übertreffen. Der Betrachter oder der Leser muss – kybernetisch gesehen – über den Code verfügen, sonst kann er den Sinn und Zusammenhang nicht aufnehmen. Uns wird klar, dass bei einem derart minimalistischen Gebilde wie dem Haiku diese Voraussetzungen in extremer Schärfe hervortreten. Pablo Picasso hat die Schwierigkeit, Kunst zu genießen, mit einer Fremdsprache verglichen, die erlernt werden muss. Bilder und Gedichte werden erst dann zum Geschenk, wenn wir ihre Sprache verstehen. Eine Sprache zudem, die über das Wort weit hinausreicht.
Zitat aus: Stimmen hinter der Wand. Unveröffentlichtes Manuskript. In der Beschreibung der Wahrnehmungs- und Erfahrungsprozesse, soweit sie sich mit denen der bildenden Kunst überschneiden, folge ich der Darstellung von Walter Koschatzky: Die Kunst des Aquarells. Technik, Geschichte, Meisterwerke. München 1985, S. 19 – 20. |
PROJEKT SPERLING Nr. 48 - 03. Januar 2008: ÜBER DAS SCHAUEN