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PROJEKT SPERLING  Nr. 51 - 24. Januar 2008:  AUGENZWINKERN

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Familienbibel.

Beim hohen Lied der Liebe

ein Eselsohr.

 

 

 

 

Michael Denhoff

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Der Geliebte ist mein, / und ich bin sein; /

er weidet in den Lilien.

Wenn der Tag verweht /

und die Schatten wachsen, komm du, mein Geliebter, /

der Gazelle gleich, dem jungen Hirsch /

auf den Balsambergen.

 

Aus dem Lied der Lieder

 

 

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Anmerkungen

 

Michael Denhoff ist seit 1992 Mitglied im renommierten Ludwig-Quartett. Er studierte Violoncello sowie Komposition bei Jürg Baur und Hans Werner Henze. 1997 / 99 wirkte er als Gastprofessor am Nationalen Konservatorium in Hanoi (Vietnam). Heute lebt er als vielbeachteter Komponist, Cellist, Dirigent und Pädagoge in Bonn. Malerei und Literatur bilden die „andere Seite“ seines künstlerischen Interesses; Gedichte und vor allem Haiku entstehen vermehrt seit 2003. Haikuspuren finden sich in seiner Musik allemal: Dem kurzen Aufklingen der Wörter am Rand des Schweigens entspricht das der Töne. Ich muss nur der letzten Bagatelle op. 92 zuhören, die er dem legendären Cellisten Pablo Casals widmete, um mich – auf eine nicht in Worte zu fassende Weise – ganz zuhause zu fühlen. Mit freundlicher Genehmigung von Michael Denhoff. Internetadresse: www.denhoff.de

 

Das Hohelied, wörtlich übersetzt „Das Lied der Lieder“ , d.i. „Das schönste Lied“, besingt in ursprünglichen, kraftvoll poetischen Bildern die Liebe von Mann und Frau, die einander begegnen, sich vereinigen, verlieren, suchen und wiederfinden. Die christlichen Kirchen haben es immer als Teil der Heiligen Schrift betrachtet. In der Überlieferung wird es König Salomo zugeschrieben, könnte jedoch ebenso auf alte religiöse Bräuche wie den in vielen vorgeschichtlichen Kulturen Palästinas und Mesopotamiens geübten Fruchtbarkeitsritus der Heiligen Hochzeit (hieros gamos) zurückgehen. Für den amerikanischen Romancier Thomas Wolfe (1900 – 1938) war es das bedeutendste Werk der Weltliteratur. Die vielfältigen Wirkungen auf die Lyrik und mittelalterliche Spiritualität sollen hier nicht erörtert werden. Es sei lediglich an den bewegenden Cántico espiritual des spanischen Mystikers und Dichters Juan de la Cruz (1542 – 1591) erinnert. Michael Denhoff scheint das Hohelied in seinem Haiku, das gut und gern auch als dessen humorvoll-ironischer Zwilling Senryû gesehen werden darf, mit unverhohlenem Augenzwinkern zu betrachten. Aber dies mag, wie überall in der offenen Weite des kurzen Gedichts, nur eine der möglichen Lesarten sein. 

 

 

 

 

PROJEKT SPERLING  Nr. 51 - 24. Januar 2008:  AUGENZWINKERN

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