[Das Journal]  [Kurzgedicht der Woche]  [Archiv]  [Maghrebinische Gedichte]  [Sperling]  [Texte]  [Impressum]  [News]  [Links]

 

PROJEKT SPERLING  Nr. 97 - 15. Januar 2009: FARBE UND FORSCHENDES AUGE

|

 

 

 

 

Reif knirscht

durch die Allee,

auf Feuerfarben

 

 

 

 

Arno Herrmann

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

.......................................................................................................................................................................

 

 

La couleur est le lieu où notre cerveau et l’univers se rencontrent.

 

Die Farbe ist der Ort, wo unser Gehirn und das Weltall sich begegnen.

 

Paul Cézanne (nach Gasquet)

 

 

.......................................................................................................................................................................

 

 

Anmerkungen

 

Zu Arno Herrmann, Haiku-Autor und Aquarellmaler, siehe u.a. Ausgabe 26. Erstveröffentlichung mit freundlicher Erlaubnis des Verfassers.

 

„Cézanne – oder die kristalline Ordnung der Dinge“, notierte ich nach einem Ausstellungsbesuch. „Seine Bilder sind Fenster; man blickt hinaus und sieht die Wirklichkeit mit neuen Augen. Nie habe ich ergründen können, ob er die schweigende Welt im Zustand der Entrückung schildert oder sie bei ihrem Werden beobachtet.“      

Glaubt man den Aufzeichnungen des von der Forschung mit einiger Skepsis bedachten Schriftstellers Joachim Gasquet über die Gespräche mit dem Maler, hat Paul Cézanne (1839 – 1906) die Farbe nicht allein meisterhaft behandelt und unbekannte Aspekte ihres Wesens erschlossen, sondern auch Wunderbares über sie ausgesagt: „Die Natur ist nicht an der Oberfläche, sie ist in der Tiefe. Die Farben sind der Ausdruck dieser Tiefe an der Oberfläche. Sie steigen aus den Wurzeln der Welt auf.“ Solche Zitate ähneln jedoch hinsichtlich des Inhalts und der Diktion anderen, die beispielsweise der Künstler Emile Bernard gesammelt hat, sodass sie wahrscheinlich authentisch sind.

In Cézannes Kosmos gibt es – wie bei van Gogh – nichts Unbeseeltes. Selbst die Felsen des Steinbruchs von Bibémus, der Berg Sainte-Victoire oder die Keramik, Weinflaschen und Tischtücher seiner Stillleben besitzen die Ausstrahlung und Würde des Lebendigen. Ein Gemälde wie Die große Kiefer (Museu de Arte, São Paulo) könnte das Abbild jenes sich im Wind der Vergangenheit auflösenden Baumes sein, von dem wir in der letzten Ausgabe hörten.

Doch genügt nicht, dass das Kunstwerk herrlich ist. Es muss auch mit herrlichen Augen gesehen werden. Rainer Maria Rilke schrieb über Cézanne: „Ich war heute wieder bei seinen Bildern; es ist merkwürdig, was für eine Umgebung sie bilden. Ohne ein einzelnes zu betrachten, mitten zwischen den beiden Sälen stehend, fühlt man ihre Gegenwart sich zusammentun zu einer kolossalen Wirklichkeit. Als ob diese Farben einem die Unentschlossenheit abnähmen ein für allemal. Das gute Gewissen dieser Rots, dieser Blaus, ihre einfache Wahrhaftigkeit erzieht einen; und stellt man sich so bereit als möglich unter sie, so ist es, als täten sie etwas für einen.“ Kunst kann, was sonst nur die Liebe vermag: uns fortreißen.

 

Quellen: Joachim Gasquet, Was er mir gesagt hat. In: Gespräche mit Cézanne, hrsg. von Michael Doran. Zürich 1982, S. 141, 153. Rainer Maria Rilke, Briefe über Cézanne, hrsg. von Clara Rilke. Frankfurt am Main 1983, S. 40 (Brief vom 13. Oktober 1907).

 

 

 

 

PROJEKT SPERLING  Nr. 97 - 15. Januar 2009: FARBE UND FORSCHENDES AUGE

|