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PROJEKT SPERLING  Nr. 96 - 08. Januar 2009: ZUM  NEUEN  JAHR

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Der Große Morgen –

Wind aus alter Zeit

weht durch die Kiefer

 

 

 

 

Onitsura

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Ôashita   mukashi fukinishi   matsu no kaze

 

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[ Zitat Nikos Kazantzakis: Die Ewigkeit existiert sogar in unserem täglichen Leben … ]

 

 

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Anmerkungen

 

Wahrhaftig – ein „Großer Morgen!“ Im Wind, der durch die Kiefer weht, erfährt Onitsura am Neujahrstag die Auflösung der Zeit. Das scheinbar Vergangene zeigt sich als ewige Gegenwart.

Sein Erlebnis erinnert mich an zwei Sätze, mit denen der Japanologe Horst Hammitzsch die poetische Tiefe Bashôs – und damit das Wesen des Haiku – auszuloten versuchte: „Was aus seinen Werken spricht, ist das für alle Zeiten Unwandelbare ..., welches nicht Alt und Neu kennt, welches sich im Strom des Werdens und Vergehens niemals ändert. Dies Unwandelbare kann man erkennen, wenn man nicht seinem Ich verhaftet ist, sondern dieses aufgibt und sich eins fühlt mit dem All, wenn man in das Wesen der Dinge eindringt.“

 

Kamijima (Uejima) Onitsura wurde 1661 geboren. Er stand zunächst der Richtung des Teitoku nahe und erlernte die Kunst des Haiku bei Nishiyama Sôin (1605 – 1682), dem Begründer der Danrin-Schule, die zwar formal dem Anspruch genügte, sich aber inhaltlich nicht vom Niveau der Vorgänger abhob und zu bloßer Wortspielerei verflachte. Wie sein Zeitgenosse Matsuo Bashô suchte er daher nach anderen Wegen. Sein Grundsatz „Es gibt kein Haikai [Haiku] außerhalb der Wahrhaftigkeit“ rückt ihn in geistige Nähe zu Bashô, der ähnliche Auffassungen vertrat. Anders als dieser hat er seine Gedanken zur Poetik jedoch in den bemerkenswerten Haibun-Schriften Hitorigoto (1718) und Nanakuruma (1738) festgehalten. Anekdoten deuten auf Verbindungen zum Zen-Buddhismus, so seine überlieferte Antwort auf eine Frage des Zen-Meisters Kudô. Auch dies ein Indiz der engen geistigen Verwandtschaft mit Bashô. Onitsura starb 1738.

 

Quellen: Die Übersetzung des Haiku folgt, geringfügig überarbeitet, der englischen Version in der vierbändigen Anthologie klassischer japanischer Autoren von R.H. Blyth, Haiku, Vol. 2, Tôkyô 1981, S. 356. Zu Horst Hammitzsch vgl. Sinologica, Zeitschrift für chinesische Kultur und Wissenschaft, Vol. IV, Nr. 2, Basel 1955, S. 111. Zitat: Nikos Kazantzakis, Alexis Sorbas. Roman. Aus dem Neugriechischen übertragen von Dr. Alexander Steinmetz. Gütersloh o. J., S. 190.

 

 

 

 

PROJEKT SPERLING  Nr. 96 - 08. Januar 2009: ZUM  NEUEN  JAHR

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