[Das Journal]  [Kurzgedicht der Woche]  [Archiv]  [Maghrebinische Gedichte]  [Sperling]  [Texte]  [Impressum]  [News]  [Links]

 

PROJEKT SPERLING  Nr. 66 - 15. Mai 2008:  EINSAMKEIT (KINDERHAIKU II)

|

 

 

 

 

Aves 
voam
rumo à solidão

 

 

Vögel
fliegen
auf die Einsamkeit zu

 

 

Erica Cristina Gouveia

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

.......................................................................................................................................................................

 

 

Wer die Einsamkeit nicht liebt,

versteht meine Architektur nicht.

 

 

Luis Barragán

 

 

.......................................................................................................................................................................

 

 

Anmerkungen

 

Unbekümmert wirft die zwölfjährige brasilianische Schülerin Erica Cristina Gouveia soeben erlernte Haikuregeln über Bord, um einen Ausschnitt der äußeren Welt, die zugleich ihre innere ist, spontan festzuhalten. Nicht mehr als ein paar Vokale und Konsonanten, die sich zu wenigen Wörtern formen. Solidão steigert sich im Liedgut des Fado zum archaisches Lebensgefühl der saudade, dem berühmtesten und unübersetzbarsten Wort der portugiesischen Sprache, ihrem „Mantra“, das – weit mehr als tiefe Einsamkeit – Sehnsucht bedeutet, Wehmut und Melancholie. Schiffe tragen oft diesen Namen. „La soledad sonora“, von „tönender Einsamkeit“ weiß Juan de la Cruz, der aus einem anderen Land der Iberischen Halbinsel stammende Dichter. Wer einmal, etwa in der Altstadt von Lissabon, den Fado gehört und danach die Dörfer des Alentejo durchwandert hat, wird einen Blick davon erhaschen. Aber so weit müssen wir gar nicht reisen: Mir ist der schwermütige Gesang des Rotkehlchens immer als vollkommener Ausdruck dessen erschienen, was solidão und saudade meinen.

Die Zeilen von Erica Cristina Gouveia sind zitiert und von mir aus dem brasilianischen Portugiesisch übersetzt nach: Haiku by the Children 1992. Published by Shunichi Shibohta, Yoshiko Nomura and Ayane Adachi. JAL Foundation. Tôkyô 1993, S. 7. An diesem Wettbewerb nahmen 70.000 Kinder aus 27 Nationen teil. Grundsätzliches zum Kinderhaiku findet sich in Ausgabe 31.

 

Luis Barragán (1902 – 1988) gilt als einer der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Beeinflusst von der ländlichen Baukunst seiner Heimat Mexiko und Marokkos entstanden ab 1930 Villen, Apartmenthäuser und Gärten, in denen er Orte der Stille, der meditativen Betrachtung und des Träumens sah, unter anderem der Park von El Pedregal de San Angel am Rand von Mexiko City. 1947 entwarf und baute er in Tacubaya sein eigenes Haus mit einem Innenhof, dessen Mauern so hoch sind, dass sie nur den Blick auf den Himmel freigeben. Die Wirkung wird durch intensive, höchst überlegte Farbigkeit eindrucksvoll gesteigert. In franziskanischer Schlichtheit und im Zwiegespräch mit der Natur verbinden sich Architektur, bewegtes Wasser und Vegetation zu lichterfüllten Räumen, die dennoch Abgeschiedenheit und Entrückung suggerieren.

 

 

 

 

PROJEKT SPERLING  Nr. 66 - 15. Mai 2008:  EINSAMKEIT (KINDERHAIKU II)

|