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PROJEKT SPERLING Nr. 92 - 27. November 2008: SCHNEELAND
erster schnee
den ganzen morgen
kein wort
Hubertus Thum
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[ Zitat Yasunari Kawabata: Jenseits des langen Tunnels erschien das Schneeland ... ]
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Anmerkungen
Weiß ist für viele Menschen weniger eine Farbe als ihre sichtbare Abwesenheit, obwohl es gleichzeitig die Summe aller Farben ist. Malewitsch und Wassily Kandinsky ahnten darin eine Welt, aus der alle materiellen Eigenschaften und Substanzen verschwunden sind. „Diese Welt ist so hoch über uns“, schrieb Kandinsky, „dass wir keinen Klang von dort hören können. Es kommt ein großes Schweigen von dort … Es ist ein Schweigen, welches nicht tot ist, sondern voll Möglichkeiten.“ Weiß ist das Niemandsland des Ungesagten und nicht Artikulierbaren. Ike-no Taiga, einem bekannten japanischen Künstler der Edo-Zeit, wurde die Frage gestellt, was am schwierigsten zu malen sei. Seine Antwort lautete: „Einen weißen Raum zu malen, in dem nichts dargestellt ist – das ist die schwierigste Aufgabe der Malerei.“ Erstveröffentlichung bei www.haiku-heute.de, Dezember 2003. Siehe ebenso Haiku heute (Hrsg.): Gepiercte Zungen. Haiku-Jahrbuch 2003. Tübingen 2004, S. 51, 46.
Yasunari Kawabata (1899 – 1972) wurde 1968 als erster japanischer Schriftsteller mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Bereits die knappe Einleitung seiner Erzählung Schneeland (Yukiguni, 1948) versetzt den Leser an einen namenlosen Ort, wo die Zeit anders zu verlaufen scheint. Die nacherzählbare Handlung bleibt zweitrangig gegenüber der Darstellung von Stimmungen und Gefühlsnuancen. Kawabata folgt einer Auffassung des künstlerischen Ausdrucks, die nicht mehr zwischen Innen und Außen differenziert. „Die Lilie und das Ich so zu beschreiben, als existierten sie unabhängig voneinander, verweist auf einen naturalistischen Schreibstil. Er stellt das alte Prinzip der Objektivität dar … Nun gibt sich aber die Kraft des Subjekts nicht mehr damit zufrieden. Ich bin im Innern der Lilie. Die Lilie ist in meinem Innern. Diese beiden Sätze unterscheiden sich letztlich nicht.“ Trotz der neuen Sichtweise verwendet er klassische japanische Stilmittel, so auch Verkürzungen und Aussparungen, die in ihrer Bildhaftigkeit oft an das Haiku erinnern: „Aus dem dünnen Schnee am Rand des Weges ragte eine Reihe Lauch.“ Die dichtesten Stellen seiner Prosa gleichen dem farbigen Schimmer mancher Perlen, den wir immer wieder bestaunen und genießen können. Zitiert nach Yasunari Kawabata: Schneeland. Aus dem Japanischen übersetzt von Tobias Cheung. Frankfurt am Main 2004, S. 9 (modifiziert). Vgl. das lesenswerte Nachwort des Übersetzers, S. 175 – 200. |
PROJEKT SPERLING Nr. 92 - 27. November 2008: SCHNEELAND