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PROJEKT SPERLING Nr. 94 - 11. Dezember 2008: STEINE IM KOFFER
unter dem Schnee
ihr Stein,
der die Tür aufhielt
Gerd Börner
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Steine sind stumme Lehrer, sie machen den Beobachter stumm, und das Beste, was man von ihnen lernt, ist nicht mitzutheilen.
Goethe
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Anmerkungen
Gerd Börner, geboren 1944, lebt und schreibt in Berlin. Haiku und Kurzprosa aus seiner Werkstatt veranschaulicht die Homepage www.ideedition.de, über die auch seine Lyrikbände bezogen werden können. Erstveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Gäbe es an unseren Schulen das Fach „Nonverbale Erziehung“, könnte der erste Unterricht mit dem stummen Anschauen der Steine beginnen. Seit frühester Zeit fühlen sich Menschen zu ihnen hingezogen. Noch heute bewahren viele Urvölker ihre „heiligen“ Steine auf, in denen sie die Seelen der Ahnen oder Behältnisse übernatürlicher Kräfte sehen. Jahrhundertelang forschten die Alchemisten nach dem „Stein der Weisen“, dem lapis philosophorum, und Künstlern wie Max Ernst und Alberto Giacometti kam es weitgehend auf die „Selbstaussage“ der aus den Moränen des Fornogletschers gesammelten Granitblöcke an, die sie gemeinsam bearbeiteten. Sie wollten – in der Sprache des Mythos – vor allem ihren „Geist“ reden lassen. In dieser Welt der Vergänglichkeit kommen Steine offenbar der Vorstellung absoluter Dauer am nächsten. Sie sind, wie der amerikanische Philosoph George Santayana sagte, Sinnbilder des Unwandelbaren und der Ewigkeit. Hand aufs Herz: Kaum jemand, der von einer Reise nicht mit Steinen besonderer Form, Farbe und Aussagekraft im Koffer zurückgekehrt wäre. Goethe und Santayana haben also in Worte gefasst, was wir schon immer wussten. Nur wussten wir nicht, dass wir es wussten.
Quelle des Zitats: Johann Wolfgang Goethe, Maximen und Reflexionen. Text der Ausgabe von 1907. Mit den Erläuterungen und der Einleitung Max Heckers; Nachwort von Isabella Kuhn. Frankfurt am Main 1976, S. 141. „Von Goethes Sprüchen in Prosa geht heute vielleicht mehr Lehrkraft aus als von sämtlichen deutschen Universitäten.“ Hugo von Hofmannsthal (1922). |
PROJEKT SPERLING Nr. 94 - 11. Dezember 2008: STEINE IM KOFFER